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Der rumänische Kulturminister und Schauspieler Ion Caramitru erinnert sich an Emil Cioran
Der in Rãsinari bei Hermannstadt geborene Emil Cioran (1911-1995) gilt als der größte Stilist der französischen Sprache. Bis Ende der siebziger Jahre soll der rumänisch-französische Essayist und Aphoristiker jedoch nur von einer sehr schmalen französischen Elite wahrgenommen worden sein, so ein Familienfreund Ciorans, der Filmemacher Paul Barbãneagrã, "weil die meisten Intelektuellen Marxisten waren", Cioran aber vor dem Krieg mit den rumänischen Legionären sympathisiert hatte. Erst ab den Achtzigern, "als viele ehemalige Marxisten dem Anarchismus das Wort redeten", wuchs die Popularität des Nihilisten und Skeptikers Cioran, der schließlich "zum Papst der intellektuellen Anarchisten von Paris wurde". Die vom belgischen Gastlektor Eugène Van Itterbeek an der Hermannstädter Universität schon im zweiten Jahr organisierten "Internationalen Cioran-Tage" führten Kenner Ciorans und seines Werks zusammen. Erinnerungen an Cioran teilte auch der rumänische Kulturminister Ion Caramitru mit; wir drucken sie nachstehend gekürzt ab.
Ich hoffe, Sie erwarten von mir keine festlich-steife Rede, denn ich werde Ihnen nur von meinen Begegnungen mit Cioran erzählen. Es waren nicht viele, etwa vier, fünf.
Die erste Begegnung war nicht persönlich, sie fand am Telefon statt. Es war der 27. Dezember 1989, ich hatte ein hohes Amt im Staat übernommen und saß in einem Büro und überlegte, was zuerst getan werden müsse. Ich ging mit mir selbst zu Rate und beschloß, zuallererst die bedeutenden Rumänen anzurufen, die aus dem einen oder anderen Grund das Land verlassen hatten, um ihnen zu berichten, was in Rumänien geschehen war und um sie zu bitten, zurückzukehren. Damals habe ich auch Emil Cioran angerufen, aber nicht nur ihn, auch Eugène Ionesco und Sergiu Celibidache, auch Liviu Ciulei und Lucian Pintilie, auch Paul Barbãneagrã und noch viele andere.
In dem Erinnerungsbuch, das ich mir zu schreiben vorgenommen habe, wird das Kapitel über jene Zeit als überschrift wahrscheinlich den Satz bekommen, den mir Cioran am Telefon sagte, nachdem er gehört hatte, wer ich bin und was ich sagen wollte. Ich wußte, daß er nicht mehr rumänisch sprechen wollte und war nun überrascht, daß er mir in einem sehr schönen Rumänisch antwortete. Er sagte mit hoher Stimme, verzweifelt vor Glück (um in seinem Sinne zu sprechen): "Domnule, nu stiti ce-ati fãcut voi acolo!" ("Mein Herr, Sie wissen nicht, was Sie da getan haben!"). Und danach, weiter auf rumänisch und genauso, wie ich zitiere: "Ich habe mich geschämt, ein Rumäne zu sein, ich habe mich versteckt. Von nun an kann ich mit erhobenem Kopf unter die Leute gehen, und ich beginne, wieder rumänisch zu sprechen!" Er sagte mir noch andere schöne Worte, und ich war so aufgeregt, daß ich ihn kaum bitten konnte, über seine Rückkehr nachzudenken. Er sagte, er werde zurückkommen, was aber, wie Sie wissen, nicht geschehen ist, vor allem auch, weil die Ereignisse, die Ende Januar 1990 in Bukarest stattfanden, viele der genannten Persönlichkeiten zutiefst enttäuscht haben. Celibidache kam für ein paar wunderschöne Proben und Konzerte zurück, Liviu Ciulei kam, um das Theater zu unterstützen, das er begründet hatte, ebenso Lucian Pintilie, der auch jetzt voll in Rumänien engagiert ist. Eugène Ionesco und Emil Cioran sind nicht zurückgekehrt, beide aus ähnlichen Gründen nicht.
Die zweite Begegnung mit Cioran, das heißt die erste eigentliche, persönliche Begegnung fand im Juni 1990 statt, als wir zusammen mit dem Pianisten Dan Grigore beschlossen, nach Paris zu gehen mit unserer Inszenierung "Eminescu... nach Eminescu". Wir sollten uns mit Cioran nach der Vorstellung im Foyer treffen, da befanden wir uns mit ihm auch schon in der Kabine, wir waren noch dabei uns umzuziehen - es gibt übrigens ein filmisches Dokument dieser Szene. Cioran zeigte sich erfreut, daß er nach langer Zeit wieder Eminescu-Texte hatte hören können, und er freute sich auch darüber, wie wir sie zur Geltung gebracht hatten.
Das dritte und letzte Mal begegnete ich Cioran, als das Bulandra-Theater mit "Hamlet" in Paris war. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, aber Cioran saß bis drei Uhr früh mit uns zusammen und plauderte, nicht nur mit den Künstlern, sondern auch mit den Technikern, die - wissend wer er ist - ihm mit einiger Scheu begegneten. Wir trennten uns erst, als seine Gattin ins Theater kam - wir spielten im "Odeon", das lag nur zwei Schritte von seiner Wohnung entfernt - und ihn buchstäblich aus unserer Mitte wegzerrte. Nach dieser Begegnung habe ich mit Cioran nur noch einige Male telefoniert.
Man bedenke, wie schwierig der Zugang zu Ciorans philosophischem System ist und wie viele Vorkenntnisse man braucht, um es zu begreifen! Desto überraschter war ich, daß Cioran in seinem persönlichen Umgang von ganz außergewöhnlicher Schlichtheit war. Seine Sprache war, man möchte sagen: von bäuerlicher Einfachheit, präzise, aufs Wesentliche reduziert. Er war bescheiden, ja zog sich mitunter schüchtern hinter seine Entdeckungen zurück.
Für mich ist Cioran der erdverbundene Bauer, der mit dem Zwerchsack und der Fibel von zu Hause wegging und die Welt eroberte mit einer Intelligenz, die in seinem Heimatort, seinem Land und dem geistigen Wesen seines Volkes lebte.
Hermannstädter Zeitung Nr. 1573/8. Mai 1998
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