Bonn. Emile M. Cioran war einer der düstersten Philosophen des 20. Jahrhunderts - davon zeugen schon die Titel seiner Werke wie "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" oder "Vom Nachteil, geboren zu sein". Zeit seines Lebens pflegte er das Image des "Berufsskeptikers", des am Leben Überdrüssigen, für den Existenz vor allem Leid und Einsamkeit bedeutet. Umso bemerkenswerter ist jetzt die Veröffentlichung eines Briefwechsels zwischen ihm und der Kölnerin Friedgard Thoma. In dem Buch "Um nichts in der Welt" wird Cioran als durchaus lebensbejahender, in die junge Verehrerin glühend verliebter Mann gezeigt.
Friedgard Thoma hatte dem Philosophen 1981, begeistert von seinen Werken, einen Brief geschrieben. Der damals 70-Jährige reagierte sofort und antwortete ihr persönlich - in deutscher Sprache, die er in seiner Heimat Siebenbürgen gelernt und bei einem späteren Aufenthalt in Berlin perfektioniert hatte. Er lud die mehr als 30 Jahre jüngere Philosophielehrerin zu sich nach Paris ein, wo er seit Ende der 30er Jahre lebte. Aus dem Besuch entwickelte sich eine enge Freundschaft, die bis zu Ciorans Tod im Jahr 1995 dauerte.
Dabei waren die gegenseitigen Erwartungen durchaus unterschiedlich. "Im allgemeinen mit/für den Frauen mit denen ich mich geistig verwandt fühle, habe ich keine sinnlichen Neigungen. Mit Ihnen möchte ich mich im Bett über ,Lenz' unterhalten", schrieb er ihr nach ihrem ersten Besuch in seinem fehlerhaften Deutsch. "Bitte achten Sie mich dennoch als den Menschen, der Sie liebt, was immer darunter zu verstehen ist", antwortete sie. Und später: "In Worten und Briefen bin ich bei Ihnen mehr zu Hause als in der nonverbalen Gestik der Zuneigung . . . Idiotischerweise hindert mich nur die unvermittelte physische Präsenz an der Unmittelbarkeit meiner Empfindung."
In den erklärenden Zwischenteilen des Buches drückt sie sich deutlicher aus. "Die tragische Situation war, dass ich das Einfachste nicht aussprechen wollte, sondern mich . . . brieflich sehr künstlich herumgewunden habe. Zwischen den Zeilen lese ich aber heute: Du bist alt, und ich bin jung! Ich kann Dich nicht so lieben wie du mich."
Cioran liebte also und litt. In zahlreichen Briefen an die Freundin spricht er von seiner Sehnsucht und Enttäuschung, von Eifersucht und Leidenschaft. Es ist ein anrührendes Zeugnis der Obsession eines alternden Mannes, und der sonst so abgeklärte Philosoph präsentiert sich immer wieder als höchst unsouverän. Kein Wunder also, dass der französische Verlag Gallimard, der Ciorans Urheberrechte vertritt, die Veröffentlichung des Briefwechsels kritisiert hat. Der Bonner Weidle Verlag, der Thomas Buch herausgegeben hat, wurde in mehreren Schreiben aufgefordert, das Buch zu vernichten.
"Wir haben das nicht getan", sagt Verleger Stefan Weidle. Er kritisiert die "Gralshüter" unter den Anhängern Ciorans, die sein Image als Menschenfeind und Weltverächter unter allen Umständen wahren wollten. Dabei handele es sich um Originaldokumente Ciorans - noch dazu um einige der wenigen in deutscher Sprache. "Er darf nicht einmal mit seiner eigenen Stimme sprechen", sagt Weidle.
Dabei sei das Buch nie peinlich, sondern zeige nur ein Stück von Ciorans Persönlichkeit, das man bisher nicht gekannt habe, sagt der Verleger. Ihm selber sei es bei der Veröffentlichung des Buches vor allem um das Beispielhafte an der Geschichte gegangen - junge Frau, alter berühmter Mann. "Man sieht die Sache sehr ungeschminkt." Der Briefwechsel gebe sehr offen Einblick in etwas, was man sonst nicht haben könne. Den "Cahiers 1957-1972" (Suhrkamp) fügt "Um nichts in der Welt - eine Liebe von Cioran" dem Bild der Persönlichkeit des Philosophen ein weiteres Teilchen hinzu.
Susanne Gabriel
Bonner General-Anzeiger
3.1.2002